Siehe auch Link zu Artikel in der Zeitschrift Alpinwelt: https://www.alpenverein-muenchen-oberland.de/uploads/images/TcQl00k0MlnRO1WpDG43Aw/alpinwelt_2_18_bergwaerts_1.pdf
Die Gegend um den Gardasee ist ein Eldorado für Outdoorsportler. Auf dem See sind es die Surfer und Schwimmer, in Arco tummeln sich v.a. die Kletterer und Mountainbiker und Riva ist der Endpunkt vieler Transalps. Im August 2016 kommen wir ganz in der Früh früh in Torbole an. Wir haben unser Wohnmobil für die nächste Etappe strategisch günstig abgestellt. Um drei Uhr nachts sind wir von Nauders mit einem leeren MTB-Shuttle-Bus als einzige Passagiere losgefahren – sozusagen in der falschen Richtung. Von Torbole fahren wir nun das Sarchetal aufwärts in Richtung Brenta – bei schönem Wetter eine echte Genußtour.
Ins wilde Val d"Algone dürfen pro Tag nur 50 Fahrzeuge fahren, später ist der Weg dann für Autos ganz gesperrt – also eine recht einsame Gegend. Ab hier wird der Weiterweg anspruchsvoller. Wir müssen jetzt die Räder schieben und der Kinderanhänger muss getragen werden, der Weg ist zu steil und schmal. Christine trägt Isabella mit dem Tragesystem vorne, für das sie eigentlich schon zu groß ist. Für beide ist es darum etwas unbequem.
Der Anhänger wird zusammengeklappt auf Walters Biker-Rucksack geschnallt. Der wird dann recht schwer und es sieht auch nicht so elegant und bequem aus, aber es sind zum Glück nur 150 Höhenmeter bergab. Der Pfad ist sehr steil mit vielen Wurzeln und man muss sich mit dem Gewicht am Bauch bzw. Rücken und den schweren Rädern sehr konzentrieren. Wir haben Glück, dass wir trocken über diese Schlüsselstelle kommen, denn an diesem Tag gibt es zweimal heftige Sommer-Gewitter und wir kommen erst in der Nacht patschnass in Madonna an.
Bei der Auffahrt zum Tonalepass suchen wir kurz vor einem Gewitter einen Unterschlupf. Eine Familie winkt uns in ihre Garage, die zum Glück für Isabella voller Spielsachen ist und wir bekommen auch noch einen warmen Tee gekocht. Da lässt es sich aushalten!
Am nächsten Tag ist das Wetter zunächst wieder schön. Wir wollen einmal sehen, wie es Isabella bei so einer Abfahrt geht und kommen auf die Idee, die Filmkamera einzuschalten. Walter fährt mit ca. 60 km/h mit quietschenden Bremsen den Tonalepass hinunter, aber Isabella blättert ganz entspannt in ihren Pixibüchern – und wir wissen jetzt, dass Isabella das gut wegsteckt.
Bei der Auffahrt zum Gaviapass erwartet uns wieder Regenwetter und wir ziehen uns und dem Anhänger die „zweite Haut“ über, worin wir inzwischen schon recht geübt sind und nicht schon halbnaß sind, bis wir uns eingepackt haben! Der Gaviapass ist unserhöchster Pass (2618 m) und der zu überwindende Höhenunterschied beträgt jeweils 1400m. Das Runterfahren ist natürlich nie ein Problem, aber beim Auffahren sind wir schon sehr froh über unsere Elektrounterstützung.
Livigno ist eine zollfreie Zone und ein beliebter Touristenort mit viel Verkehr, weil auch gerade Hochsaison und die italienischen Ferragosta zusammenfallen. Die Hotelsuche erweist sich als schwierig und teuer, und wir sind froh, als wir den Trubel wieder hinter uns lassen können.
Kurz darauf geht es gleich wieder aufwärts auf den Berninapass, wo wir eine interessante Begegnung haben: ein Radler aus Korea ist noch verrückter als wir. Er fotografiert hochbegeistert unseren Anhänger mit Isabella Währenddessen dokumentieren wir sein Rad, das samt Spaten schwer bepackt ist. Er ist unterwegs auf großer Europafahrt.
Über das Oberengadin und den Malajapass kommen wir ins wilde Bergell. Dort liegt das Bondascatal, das letztes Jahr traurige Berühmtheit erlangt hat. Vom Piz Cengalo, sind 2017 - nicht zum ersten Mal - riesige Gesteinsmassen ins Tal gestürzt und die nachfolgende Lawine hat 8 Wanderer verschüttet.
Unser Ziel für diesen Tag ist Soglio – es wurde mal zum schönsten Dorf der Schweiz gekürt und das finden wir auch. Das Hotelzimmer dort ist nicht billig, aber die Aussicht auf den Piz Badile und das Bergell grandios. Am nächsten Tag nehmen wir uns die Zeit, den Ort genauer anzuschauen und genießen noch einmal die tolle Aussicht unddie wunderbare Atmosphäre dort, bevor es zu den oberitalienischen Seen weitergeht.
Nach den oberitalienischen Seen sind wirinzwischen im schweizerischen Tessin angekommen. Vom Tessin gibt es eigentlich nur zwei Routen ins Wallis: das vielbefahrene Tal des Ticino Richtung Gotthardpass und Nufenenpass oder der Simplonpass, der direkt ins Rhonetal nach Brig führt. Der Simplonpass ist aber überhaupt nichts für Fahrräder, da er sehr stark befahren und vor allem auch eine Transit-Route für LKWs ist. Deshalb haben wir dazwischen eine Alternativ-Route gesucht - und im Val Formazza gefunden.
Im Mittelalter wurde das obere Val Formazza von Walsern besiedelt, die über Saumpfade aus dem schweizerischen Goms kamen. Heute kann man die frühere Handelsroute der Walser buchen als achttägige geführte Wanderung in Begleitung von Saumtieren und mit Gepäcktransport im Auto – sicher nicht ganz billig.
Im Talschluss erreichen wir ein altes Walserdorf, von den Walsern einst Chärbäch genannt, weil hier der Bach in einer Rechtskurve seinen Lauf änderte. Bei den ursprünglichen Häusern ist die alte Holzbaukunst unverkennbar. In der Walserstuba spricht man noch das alte Walser-Deutsch.
Über eine italienische Alpenvereinshütteerreichen wir den Passo San Giacomo, den wir nur hinauf, aber nicht hinunterfahren können. Zunächst genießen wir aber noch die wunderschöne Gebirgslandschaft mit ihren Bergseen und dem Wollgras. Wir wechseln hier von Italien wieder in die Schweiz. Ab jetzt heißt es viel Schieben, es gibt nur noch schmale und steile Wanderpfade.
Direkt unter uns ligt die Nufenenpasstraße mit ihrem lauten Urlaubsverkehr. Wir sind hingegen völlig alleine unterwegs. Aber es wird für uns sehr steil und schwierig. Die Schiebe- und Tragestrecke ist deutlich länger als am Brentapass und sicher die extremste Strecke unserer ganzen Tour. Über den Nufenenpass erreichen wir das Rhonetal.
Von Ulrichen geht es sehr schön durchs malerische Oberwallis - diese Route gehört mit zu den schönsten unserer Tour. Hier kommen wir über eine echte Römerbrücke, die schon halb verfallen wieder restauriert und befahrbar gemacht worden ist. Wir fahren auf Waldboden über herrliche Trails immer am Hang entlang, manchmal auch mit Blick ins Tal hinunter.
Am Abend erreichen wir einen Zeltplatz. Da die Übernachtung in der Schweiz sehr teuer ist und zumindest Walter das Rhonetal eher langweilig findet, haben wir als zusätzliche Herausforderung unser Zelt mitgenommen. Die Nacht im Zelt war auch für Isabella eine spannende Sache.
Den Col de la Forclaz kannten wir schon von unserer Umrundung des Mont Blanc mit dem Mountainbike und heute wollen wir wieder auf der Passhöhe übernachten. Aber oje - es ist kein Zimmer mehr frei. Doch da bekommen wir ein besonderes Angebot: wir können in der Jurte übernachten, die etwas entfernt vom Hotel auf eine Wiese aufgebaut ist. Das ist natürlich viel besser! Nach einer Nacht im Zelt nun eine Nacht in einer Jurte! Sie ist sehr gemütlich und urig eingerichtet im traditionellen Stil der Nomadenzelte der Mongolei.
Wir erreichen Chamonix, die bedeutendste Bergsteigerstadt der Alpen – ein Tummelplatz für Alpinisten, Touristen und Extreme. Der Arzt Michel-Gabriel Paccard und sein einheimischer Begleiter Jacques Balmat - ein Gamsjäger und Kristallsucher - erreichten 1786 von Chamonix aus als erste Menschen den Gipfel. Die Erstbesteigung des Mont Blanc war damit ein Höhepunkt des frühen Alpinismus.
Wir fühlen uns bei unseren Passfahrten ein bisschen wie Jäger, die aber nur Berge und eben auch Alpenstraßen sammeln. Wir haben bisher mit dem Anhänger etwa 45 Alpenpässe überquert.
Und dabei erhebt sich die philosophische Frage - machen wir das Bergsteigen nur wegen der Gipfelbesteigungen oder wollen wir vor allem unterwegs sein? Wir haben die Frage für uns ganz einfach beantwortet: wir kombinieren einfach beides!
Auf der Landkarte sieht man unserer Route von Wien bis Chamonix. Zusammen mit der Transalp von Garmisch bis Riva waren es bisher insgesamt 2000 km und 50.000 Höhenmeter.